Rezensionen - Warum gerade ich...?

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Bischof Dr. Klaus Engelhardt, Vorsitzender des Rates der EKD, Karlsruhe/Hannover
In: Warum gerade ich ...?, Göttingen, 1988

… Erika Schuchardts Buch – ein Stachel gegen alles Wegsehen … (auf dass wir) das 'Schweigen an Gottes Türschwelle aushalten, bis er kommt’ – das so formulierte Vertrauen hat mich beeindruckt ...

Rezension: Ein Stachel gegen alles Wegsehen - Das 'Schweigen an Gottes Türschwelle aushalten'

Dass dieses Buch mehrere Auflagen erlebt und nun in der Überarbeitung neue Leiden beschreibt - sollen wir uns darüber freuen, oder haben wir dies zu beklagen? Das Leiden unter uns nimmt kein Ende. Das macht nicht nur betroffen, sondern erschreckt viele. Ich bin dankbar, dass gerade dieses Buch weiter seinen Weg macht. Es ist ein notwendiger Stachel gegen alles Wegsehen. Es ist vor allem eine Hilfe für diejenigen, die in ihrer nächsten Umgebung Menschen leiden sehen und dabei die eigene Ohnmacht fühlen.

Die Erfahrungsberichte, die die Autorin Erika Schuchardt zu Wort kommen lässt, machen unüberhörbar deutlich, dass den Betroffenen nicht in erster Linie an Lösungen und Erklärungen gelegen ist. Sie können ihr Leiden dann eher annehmen, wenn sie es unverstellt und unzensiert in Sprache fassen und anderen mitteilen. Trauer, Aggression und Wut machen leidende Menschen oft einsam. Wir erfahren aber auch, wie ihnen Beziehungen wichtig werden - Beziehungen zu Menschen, die ihnen nahe bleiben. Oft fällt es schwer, vor der Angst der leidenden Menschen nicht zu fliehen. Wer dieser Versuchung widersteht, begegnet dann auch der eigenen Angst, und das ist ein erster Schritt, um leidenden Menschen nahe zu kommen.

Und noch von einer weiteren wichtigen Erfahrung erzählen die geschilderten Biographien. Im Leiden können Gotteserfahrungen gemacht werden. Das ist notwendig in einer Zeit, da wir alle zu lernen haben, neu nach Gott zu fragen. Da wird Gott einmal als der Fremde, Abgründige, Schweigende erfahren. Aber dann wird auch immer wieder von dem Geheimnis erzählt, wie Leidende ahnen, dass Gott sie nicht loslässt. Sie können Gott klagen, ihn anklagen. Es ist eine der tiefen Entdeckungen im Glauben, dass wir uns mit Gottes Schweigen nicht abfinden müssen. "…das Schweigen an Gottes Türschwelle aushalten, bis er kommt“, - das so formulierte Vertrauen hat mich beeindruckt.

Manche Menschen haben in ihrem Ruf nach Gott das Bild von Jesus Christus am Kreuz vor sich gesehen. Sie haben seine Ohnmacht, seine Schmerzen, seinen Schrei nach Gott ganz neu verstanden. "Warum gerade ich…?“ das ist auch die Frage des leidenden Christus am Kreuz. Und weil das Kreuz nicht das letzte Wort hat, sondern in unserem Glauben Kreuz und Auferstehung zusammen gehören, sind immer wieder leidende Menschen mit Hoffnung angesteckt worden.
Dieses Buch hilft uns, Beziehungen zueinander herzustellen und auszuhalten. Es hilft uns auch, immer wieder aufs Neue unsere Beziehung zu Gott zu wagen. Ich wünsche, dass das Buch viel gelesen wird. Wir kommen dabei entdecken, was Kirche ist: Die Gemeinschaft derer, die einander sehen.