Rezensionen - Diesen Kuss der ganzen Welt

neumayr 2Hofrat Prof. Dr. Anton Neumayr , Universität Wien, Mediziner, Arzt, Direktor der Boltzmann Forschungsstelle, Pianist, Kammermusiker, Partner der Wiener Philharmoniker, Wien 2009 flagge oesterreich 30x52

„Ein unerhört inspirierendes Buch ... von vitaler, existenzieller Bedeutung

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Erika Schuchardt, die mit ihrer Entwicklung eines Komplementär-Modells für eine erfolgreiche Verarbeitung und Überwindung von Lebenskrisen in insgesamt acht Spiralphasen international ein aufsehenerregendes Interesse auslöste, versucht in dem vorliegenden, ungemein fesselnden Buch an Hand ihres erarbeiteten Modells den leidvollen Lebensweg Beethovens nachzuzeichnen und die einzelnen Stationen seiner Krise zwischen dem Heiligenstädter-Testament und der erlösenden Schöpfung seiner Neunten Symphonie in ihr Spiralmodell zu positionieren. Daß die Autorin zum Beweis für die Richtigkeit ihrer These als Studienobjekt ausgerechnet die zwei Jahrzehnte währende schwere Lebenskrise- Ludwig van Beethovens auswählte, liegt auf der Hand. Zählt dieser Künstler doch zu jenen wenigen herausragenden Persönlichkeiten unserer abendländischen Kultur, deren unbegreifliche Vollkommenheit nach einem Ausspruch Goethes man erst recht empfindet, wenn sie dahingegangen sind, wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr stören und das Eingreifende ihrer Wirkungen uns noch täglich und stündlich vor Augen tritt. Seine Musik erfüllt uns mit Ehrfurcht ähnlich wie beim Betreten eines Heiligtums, unabhängig davon, ob man ein gläubiger Mensch ist oder nicht. Das Göttliche in seiner Musik:, die unangefochten zu den höchsten in der Kunst erreichbaren Sphären vorgedrungen ist, gipfelt zweifellos im Schlußchor seiner Neunten Symphonie, wo sich seine Menschenliebe zum Begrifflichen des Wortes verdichtet.

Der Autorin gelingt es in eindrucksvoller Weise, den dornenvollen Weg bis dahin nachzuzeichnen, indem sie die in ihrem Modell charakteristischen acht Phasen von Beethovens seelischen Krisen durch seine Lebensspirale laufen läßt. Beim Lesen dieses wunderschönen Buches wird man Überrascht, wie durch die jeweiligen Interpretationen der Autorin viele bisher unverständliche Verhaltensweisen dieses unbändigen, trotzigen und im Grunde doch so zartfühlenden monumentalen Künstlers plötzlich in einem klaren Licht erscheinen und immer deutlicher das wahrhaftige Bild Beethovens an die Oberfläche tritt.

Darüber hinaus gibt das Buch Kunde von Möglichkeiten, wie der Betroffene seine Lebenskrisen auch selbst im positiver Weise bekämpfen kann, sei es durch eine verbale Selbsttherapie, wie sie uns Goethe mit seiner poetischen Beichte vorgeführt hat, sei es beim künstlerisch tätigen Musiker, für den die Musik geradezu eine Art Selbsttherapie bedeuten kann. Wie Erika Schuchardt zeigt, kann auf diese Weise Krise auch zu einer Chance führen. Es gibt genügend Beweise dafür, wie bei schöpferisch tätigen Künstlern ihre Musik häufig durch ihre jeweiligen seelischen Konflikte und Leiden geprägt wurde man denke nur an Schubert, Bruckner oder Gustav Mahler. In diesem Buche erfährt man dies besonders einprägsam am Beispiel Beethoven, wie seine herausragenden Leistungen oft erst aus persönlicher Krise erwachsen sind. Leiden und Kreativität stehen beim Künstler in einer befruchtenden Gegensätzlichkeit: Leiden kann zum schöpferischen Sprung aus der Krise werden, wie die Autorin dies am Beispiel der Neunten Symphonie Beethovens zeigt, Leiden kann aber zugleich auch durch einen musikalischen Schöpfungsakt überwunden werden, womit die Musik in metaphysischer Perspektive in die Nähe der Theologie gelangt.

Erika Schuchardt hat mit diesem unerhört inspirierenden Buch nicht nur dem kunstinteressierten Publikum durch ihre geistreichen und interdisziplinär großartig illustrierten hypothetischen Ansätze ein wahres Geschenk bereitet. Es ist aber auch für Menschen, die bisher nicht von Lebenskrisen irgendwelcher Art betroffen wurden, insofern lehrreich und zum Nachdenken anregend, als es zeigt, daß Lebenskrisen im Sinne der Logotherapie Frankels durch einen individuellen Verarbeitungsprozess überwunden werden können. Eine Erkenntnis, die für unsere moderne Gesellschaft, die sich nur zu gerne passiv behandelt wissen will, von vitaler, existenzieller Bedeutung sein kann.

 

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Hofrat Prof. Dr. Anton Neumayr
Universität Wien, Mediziner, Arzt, Direktor der Boltzmann Forschungsstelle, Pianist, Kammermusiker, Partner der Wiener Philharmoniker

  Wien, Juni 2009